Als Annelie mich gefragt hat, ob ich einen Text für ihre neue Website schreiben möchte, habe ich natürlich sofort JA gesagt – schließlich liegt mir das Thema (weibliche) Heilung selbst sehr am Herzen und außerdem schreibe ich auch gerne. Ich hatte die Rechnung allerdings ohne die Stimmen in meinen Kopf gemacht. Sobald ich mich an den Computer gesetzt habe, kommen sie auch schon alle aus ihren Verstecken: Die Selbstzweifel, der Leistungsdruck, die Pefektionistin, der innere Kritiker. Dass ich jetzt aber genau aufpassen sollte, was ich hier schreibe, dass der Text über meine Heilungsgeschichte perfekt werden muss, dass es wichtig ist, was andere dann von mir denken und dass ich ja gar nicht weiß, was ich jetzt hier schreiben soll, am Ende schreibe ich noch etwas Falsches…. All das und noch mehr wollen mir die verschiedenen Stimmen in meinem Kopf einreden.
Also gebe ich auf. Erschöpft und enttäuscht schalte ich den PC wieder aus. Ich wollte doch unbedingt einen tollen Text schreiben, um Annelie zu unterstützen. “Was ist, wenn ich es nicht schaffe? Wird sie enttäuscht sein? Wieso kann ich das jetzt gerade nicht? Was ist nur falsch mit dir, Anna?” Natürlich lassen mich die Stimmen auch in diesem Moment nicht in Ruhe. Zusätzlich zur Enttäuschung, die sich immer weiter in mir ausbreitet, kommt jetzt auch noch Wut hoch. Wut, die gegen mich selbst gerichtet und den Leistungsdruck, der mir immer noch in den Ohren liegt, nur noch weiter anfeuert.
Entnervt lege ich mich in mein Bett. Wie jeden Abend mache ich Entspannungsmusik an und fange an, zu meditieren. Mit immer mehr Abstand beobachte ich den Körper, die Emotionen, den Verstand.
Auf einmal fange ich das Lachen an. Welch eine Ironie. Nun möchte ich einen Text über meine Heilungsgeschichte schreiben und lasse mich genau von den Mustern hindern, die mir auch sonst einreden wollen, dass ich nicht jetzt und hier heil sein kann – dass ich erst etwas TUN muss, um heil zu WERDEN. Da kommt mir eine Eingebung in Form eines Wortspiels:
“Was ist…,
wenn ich nicht aufgebe, sondern nachgebe?
wenn ich nicht aufgebe, sondern mich ergebe?
wenn ich nicht aufgebe, sondern mir vergebe?
wenn ich nicht aufgebe, sondern mich hingebe?”
Hingabe. Surrender im Englischen. Oft gehört, aber was bedeutet das eigentlich? Das Wörterbuch schafft Klarheit: “Aufhören zu kämpfen” oder “Aufhören, eine Situation oder ein Gefühl verhindern oder kontrollieren zu wollen”. Das trifft den Nagel auf den Kopf!
Ich stelle mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich für nur eine Minute mal aufhören könnte, gegen alles was ist, anzukämpfen (ja, auch nicht gegen die Stimmen in meinem Kopf!). Oder wenn ich mein Bedürfnis, alles kontrollieren zu wollen, einfach mal loslassen könnte…
PUH. Sofort fühle ich mich zehn Tonnen leichter. Ich kann wieder atmen. Ein Gefühl von Freiheit schleicht sich ein. Ich fühle mich wie ein Kind – ohne Sorgen, ohne Zweifel, ohne Druck.
Ein tiefer Frieden breitet sich in meinem Herzen aus – ein Lächeln auf meinem Mund.
Das also bedeutet weibliche Heilung für mich. Das Kämpfen loslassen. Die Kontrolle loslassen. Den Druck loslassen. Allen Widerstand loslassen. Und sogar loslassen, loslassen zu wollen… Komplette Annahme und Hingabe. Bedingungslose Selbstliebe. All meiner Teile. All der Stimmen in meinem Kopf. All der Emotionen. Aller Teile meines Körpers. Alles ist perfekt so wie es ist. Buddha sagt: “Liebe dich selbst und schaue zu.“
Liebe dich selbst – bedingungslos, nicht nur, wenn ich gerade so bin, wie mein Verstand denkt, dass ich sollte sein…
Schaue zu – nicht mit den Augen eines mürrischen Kritikers, sondern mit den liebevollen Augen einer Mutter, die mein inneres Kind immer liebt, egal was passiert!
Ich möchte authentisch sein: Ich stehe ganz am Anfang dieses weiblichen Weges, dieser Erkenntnisse, und beobachte immer wieder, wie ich in die alten Muster der patriarchalen Gesellschaft hineinfalle, mir selbst immensen Druck aufbaue, mich gegen den gegenwärtigen Moment wehre und mit all meiner Kraft kämpfe, als sei der Tod hinter mir her (was er ja gewissermaßen auch ist 😉 ….).
Doch dann versuche ich ganz einfach auch diese Teile meines Wesens mit Liebe zu betrachten, anstatt mich dagegen zu wehren und zu sträuben. Immer begleitet von der Fragen:
“Wie tief kann meine Selbstliebe gehen?”
Liebe Anna, sehr berührt sitze ich hier vor dem Laptop und lese deinen Text. Er ist wunderbarschön und wahr und vollständig. Dank von Herzen dafür.
Eben habe ich selbst eine junge Frau begleitet und durfte Zeugin und Begleiterin ihres Prozesses sein, ihre Schmerzen sehen und spüren, ihre inneren Stimmen hören, die Anspannung in ihrem Körper fühlen … und miterleben, wie es ist, wenn all das sein darf, wenn es genügt, einfach nur genau so zu sein zu sein, wie ich gerade bin. Da kommt ein tiefes Durchatmen, alleine, wenn ich das nur hinschreibe.
Wir können immer wieder gespannt sein, was ist, wenn wir alles das, was sowieso da ist, einfach fühlen, uns die Erlaubnis geben.
Welche Leichtigkeit, welche Freude, welches Sein ist dann möglich?
Danke Anna,
herzlichst,
Patricia
Liebe Anna,
danke für deine Offenheit und danke, dass du das teilst, was in dir ist. Deinen Absatz “Das bedeutet also weibliche Heilung für mich…” lese ich mehrfach, also mehr als 2 Mal. Ich frage mich: Was ist männliche Heilung für mich? Gibt es tatsächlich einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Heilung? Ich erkenne mich in dem, was du über dich schreibst.
Du erwähnst die patriarchalische Gesellschaft. Diese hin oder her, es scheint mir keine Rolle zu spielen, auf welcher Seite des Tisches ich sitze. Das Problem ist vielmehr, dass da der Tisch zwischen uns steht – und unseren Blick verklärt.
Alles Gute und Liebe
Olaf
Hallo Olaf, danke für Deine Worte. Ich glaube, wir alle haben “männliche” und “weibliche” Aspekte in uns, darum leiden sowohl Männer als auch Frauen unter dem, was gerade ist. Und wir haben immer wieder die Entscheidungsmöglichkeit in Liebe mit all dem zu sein…. Hier und Jetzt. Und was in uns ist, auszudrücken…. Ich bin neugierig, von Männern zu hören, was es für die Heilung ihres Mannseins bedarf/bedurfte…. Meine männlichen Seiten sind ganz schön ausgeprägt. Ich möchte sie nicht noch mehr füttern. Aber vielleicht braucht es das, um als Mann in seine Kraft zu kommen? Vermutlich braucht es einfach ein inneres Gleichgewicht in und mit all dem, was uns als Menschen in unserem Facettenreichtum ausmacht. Was meinst Du?