Der Wind atmet mich. Ich lehne an einer Kiefer in der letzten Nacht meiner Vision Quest, die ich während meiner Ausbildung zur Tiefenökologin erleben darf.

Ich fühle mich eins mit dem Baum, der wie ich vom an- und abschwellenden Wind geatmet und bewegt wird.

Vor mir steht die „Sterbehütte“, die ich für diese Nacht gebaut habe – für Wut und Trauer, die ich fühle, wenn ich an meinen Vater denke: seine Wutausbrüche und Ungerechtigkeiten haben meine Kindheit geprägt und heute Nacht möchte ich damit abschließen.

Ich lade meine Ahn*innen ein für dieses Ritual und verbinde mich mit allen Wesen des Waldes zur Unterstützung. In der „Sterbehütte“ liegen Feldsteine als Stellvertreter für all das, was verabschiedet werden möchte.

Angelehnt an den Baum, geatmet vom Wind, nehme ich wahr, wie meine lange unterdrückten Gefühle noch einmal in aller Intensität in mir aufsteigen und ich durchlebe sie noch einmal zutiefst. Dann kommen Bilder: Mein Vater, im gleichen Alter wie mein Sohn heute, schmal und unverletzt noch, und dann in den Krieg geschickt, aus seinem Medizinstudium gerissen und schließlich in ein Lager in Sibirien verschleppt.

Tiefes Mitgefühl ergreift mich mit diesem gebrochenen Menschen, der mein Vater war, der sich nie über seine Erlebnisse mit mir austauschen konnte. Und ich fühle Dankbarkeit für seine fürsorglichen Seiten, die er mir auch zeigen konnte.

Als der Morgen heraufdämmert fühle ich mich frei und ruhig. Immer noch rauscht der Wind in Wellen durch mich und den Wald.

Ich packe meinen Rucksack und gehe zurück zu den Menschen…

Das bedeutet Tiefenökologie für mich: Heilung erfahren durch tiefe Verbundenheit mit allen Wesen und Generationen – mich nicht mehr getrennt fühlen. Dankbarkeit empfinden für alles, was mich unterstützt. Mich eingebunden fühlen in die Reihe meiner Ahn*innen und die unendlich lange Kette all dessen, was lebt. Ayé.

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