In letzter Zeit suche ich oft nach einer Antwort in mir – wie der Situation, der Welt im Moment zu begegnen ist, in mir und um mich herum….

Da ist Anspannung in mir und etwas Verbissenes, Hartes manchmal, wenn ich abends im Spiegel schaue. Die Mundwinkel sind dann leicht nach unten gezogen – ganz anders als nach einer durchwachten, erfüllten Liebesnacht…

“Love is the answer” steht schon lange groß an meiner Hauswand. Aber wie geht das mit dieser Liebe?

Was ist sie? Und in welchen Gewändern zeigt sie sich?

Der Buddha hat vier Aspekte wahrer Liebe unterschieden – alle zusammen ergeben die volle, wahre Liebe: Mal sehr platt und kurz benannt (die Übersetzung ins Deutsche hinkt natürlich):

maitri (Selbstannahme, -liebe)

karuna (Nächstenliebe)

mudita (Mitfreude)

upeksha (Gleichmut)

Ich reiße das jetzt nur an, um zu zeigen, in welche Richtung wir uns bewegen. Und mir fällt ein, dass die Inder rund dreißig verschiedene Worte für “Liebe” haben, zum Beispiel eins für Gottesliebe, eins für Mutterliebe, eins für partnerschaftliche Liebe, eins für die Liebe zum spirituellen Meister, eins für die erotische Liebe….

Liebe hat viele Facetten.

Für mich braucht es gerade besonders eine Zutat, um in Liebe zu sein. Weichheit, Sanftmut, so etwas wie Güte…

Es gibt ein Gedicht, das mich seit Jahren berührt, ein Gedicht, das ausdrückt, wie ich auch hin möchte,

Ich teile es mit Euch auf Deutsch und Englisch.

Güte

von Naomi Shihab Nye

Bevor Du weißt, was wahre Güte ist, musst Du Dinge verlieren,

fühlen, wie sich die Zukunft innerhalb eines Momentes zersetzt, wie Salz in wässriger Brühe.

Was Du in Deinen Händen gehalten hast, was Du gezählt und sorgsam aufbewahrt hast,

all’ dies muss gehen, damit Du verstehst, wie trostlos die Landschaft zwischen den Regionen der Güte sein kann.

Wie Du fährst und fährst, annimmst, dass der Bus niemals hält, die Passagiere Mais und Hühnchen essend ewig aus dem Fenster starren.

Bevor Du die sanfte Anziehungskraft der Güte erlernst, musst Du dahin reisen, wo der Indianer in einem weißen Poncho tot neben der Straße liegt.

Du musst sehen, dass Du es sein könntest und wie auch er jemand war, der mit Plänen durch die Nacht gereist ist und der schlichte Atem ihn am Leben hielt.

Bevor Du Güte als tiefstes Innerstes kennst, musst Du Kummer als anderes tiefstes Innerstes kennen. Du musst aufwachen voll Kummer. Du musst zu ihm sprechen, bis Deine Stimme den Faden allen Kummers aufgreift und Du das Ausmaß des Gewebes erkennst.

Dann ist es nur noch Güte, die Sinn ergibt.

Nur Güte, die Dir die Schuhe bindet und Dich hinaus schickt in den Tag um Briefe zu versenden und Brot zu kaufen.

Nur Güte, die ihren Kopf erhebt aus dem Gedränge der Welt und sagt: „Ich bin es, nach der Du gesucht hast!“ und die mit Dir überall hingeht, so wie ein Schatten oder ein Freund.

Kindness

Naomi Shihab Nye

Before you know what kindness really is
you must lose things,
feel the future dissolve in a moment
like salt in a weakened broth.
What you held in your hand,
what you counted and carefully saved,
all this must go so you know
how desolate the landscape can be
between the regions of kindness.
How you ride and ride
thinking the bus will never stop,
the passengers eating maize and chicken
will stare out the window forever.

Before you learn the tender gravity of kindness,
you must travel where the Indian in a white poncho
lies dead by the side of the road.
You must see how this could be you,
how he too was someone
who journeyed through the night with plans
and the simple breath that kept him alive.

Before you know kindness as the deepest thing inside,
you must know sorrow as the other deepest thing. 
You must wake up with sorrow.
You must speak to it till your voice
catches the thread of all sorrows
and you see the size of the cloth.

Then it is only kindness that makes sense anymore,
only kindness that ties your shoes
and sends you out into the day to mail letters and purchase bread,
only kindness that raises its head
from the crowd of the world to say
it is I you have been looking for,
and then goes with you every where
like a shadow or a friend.

Ich wünsche Euch Güte, mit Euch selbst und anderen.

Einen schönen Tag,

Annelie

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